originals / copies (open archives)

Installation in der Ausstellung disCONNECTED, Motorenhalle Dresden, 2020-2021

Cultural identity is to a large extent a construct that can easily be misused for political and ideological purposes. Ulrike Ettinger investigates these questions in her artistic and scientific practice, using the example of Romanian folk costumes. In times of communist dictatorship in Romania, these were called upon as evidence of a millennia-old cultural uniqueness; indeed, traditional costumes, like any clothing, are characterised by the fact that they are not static, but are in process of change, whether fast or slow. Moreover, clothing styles and fashions contribute to a circulation of aesthetic and stylistic components and thus, to a certain extent, map the movements within societies. The Romanian blouse is both a cultural hybrid and a genuinely Romanian product whose meaning spans the field of tension between conservatism, international fashion trends and individual handmade aesthetics, and can be continually redesigned and reinterpreted according to corresponding needs with the help of language and images. This process becomes visible in the quasi-archival synopsis of artifacts and interpretations on several levels (from the perspective of ethnographic research, commerce, fashion, the embedding in a national discourse or the experience of traditional costume in everyday life): in photographs, excerpts from encyclopedias, two larger wall prints and a booklet designed by the artist that plays on an archive of perspectives on ,folk costumeʻ.

In addition, Ulrike Ettinger’s work is planned as a participatory installation. The blouses are exhibited in a hybrid of rummage table and showcase and can be rearranged by exhibition visitors – these are both elaborately hand-embroidered blouses from the first half of the 20th century as well as their fashionable counterparts from the 1970s and 1980s, most of which were mass-produced for the Western market in state-run handicraft cooperatives; there are also blouse dummies made by the artist, on whose surface patterns and color overlays of ,realʻ traditional costumes were traced in fragments with thick felt-tip pens, posing the question of original and copy. The blouse on display in the glass case can be replaced by another. This illustrates a common museum practice: out of a multitude of things, individual ones are valued on the basis of certain criteria.
Till Ansgar Baumhauer, catalog text disCONNECTED, Dresden 2020

Kulturelle Identität ist in großem Maße ein Konstrukt, das leicht für politische und ideologische Zwecke missbraucht werden kann. Ulrike Ettinger untersucht in ihrer künstlerischen und wissenschaftlichen Praxis diese Fragen am Beispiel rumänischer Volkstrachten. Diese wurden in Zeiten der kommunistischen Diktatur in Rumänien als Zeugen einer jahrtausendealten kulturellen Alleinstellung aufgerufen; tatsächlich zeichnen sich Trachten, wie jede Kleidung, dadurch aus, dass sie nicht statisch sind, sondern sich in einem schnelleren oder langsameren Veränderungsprozess befinden. Zudem tragen Kleidungsstile und Moden zu einer Zirkulation von ästhetischen und stilistischen Komponenten bei und bilden damit bis zu einem gewissen Maße die Bewegungen innerhalb von Gesellschaften ab. Die „rumänische Bluse“ ist sowohl eine kulturelle Hybride und als auch ein genuin rumänisches Produkt, dessen Bedeutung sich im Spannungsfeld zwischen Konservatismus, internationalen Modeströmungen und individueller Handarbeitsästhetik aufspannt und den entsprechenden Bedürfnissen nach mit Hilfe von Sprache und Bildern immer wieder neu entworfen und gedeutet werden kann. Dieser Prozess wird in der quasi archivalischen Zusammenschau von Artefakten und Deutungen auf mehreren Ebenen aus der Perspektive der ethnografischen Forschung, des Kommerzes, der Mode, der Einbettung in einen nationalen Diskurs oder des Erlebens von Tracht im Alltag sichtbar: In Fotografien, Lexika-Auszügen, zwei größeren Wandzeichnungen und einem von der Künstlerin gestalteten Booklet, welche ein Archiv an Sichtweisen auf ,Volkstrachtʻ bespielen.

Zudem ist Ulrike Ettingers Arbeit als partizipative Installation angelegt. Die in einer Hybride aus Wühltisch und Vitrine ausgestellten Blusen können von den Ausstellungsbesucher*innen neu arrangiert werden – dabei handelt es sich sowohl um aufwendig von Hand bestickte Blusen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als auch um deren modischen Pendants aus den 1970er und 1980er Jahren, die größtenteils seriell und für den westlichen Markt in staatlichen Handwerkskooperativen angefertigt wurden; ebenso finden sich von der Künstlerin hergestellte Blusen-Dummys, auf deren Oberfläche mit dicken Filzstiften Muster und farbliche Überlagerungen von echten Trachten in Bruchstücken nachgezeichnet wurden und die die Frage nach Original und Kopie stellen. Die im Vitrinendisplay ausgestellte Bluse kann durch eine andere ersetzt werden. Verdeutlicht wird eine gängige museale Praxis: Aus einer Vielzahl von Dingen erfahren einzelne aufgrund bestimmter Kriterien eine Wertschätzung. Till Ansgar Baumhauer, Katalogtext disCONNECTED, Dresden 2020

Tischvitrine mit Trachtenblusen aus Rumänien (erste und zweite Hälfte 20. Jh.) und selbstgenähte und mit Filzstift bemalte Blusen, zwei Wandzeichnungen (Gouache und Kreidemarker), Ausdrucke und Booklet. Alle Fotos der Installation: © Andreas Seeliger.

Auszüge aus dem Booklet:


Wie im Titel angedeutet, stellt die Installation die Frage nach Original und Kopie im Zusammenhang von Trachten. Dies geschieht in einer mehrfachen Grätsche zwischen einerseits Tracht als individuelle kreative Leistung, welche jedoch stets aus einem Reservoir an zirkulierenden oder auch bewusst in Umlauf gebrachten Mustern, Materialien und ästhetischen Präferenzen so auch modischen Tendenzen schöpft und auf der anderen Seite die seriellen Produktionen der Handwerkskooperativen im Sozialismus. Wobei letztere aus heutiger Perspektive auch als Originale der 1970er und 1980er Jahre fungieren (beispielsweise in ihrer Funktion als Zeitdokumente). Diese Frage nach Original und Kopie wird durch die in der Installation vorhandene ‚Replika‘ verstärkt. Diese ahmen zwar ‚originale‘ und ‚echte‘ Trachten in Teilen nach, sind jedoch, aufgrund ihres Entstehungsprozesses, welcher sie auch zu einmaligen Artefakten gestaltet, nicht weniger ‚authentisch‘.
Die Installation vermeidet in Folge eine Wertung der einzelnen Exponate. Die Tischvitrine ist zweigeteilt: auf der einen Hälfte eine an einen Wühltisch erinnernde Anhäufung von ‚Originalen‘ und ‚Kopien‘, auf der anderen Tischhälfte eine Vitrine mit einem Exponat. Die Entscheidung, ob eine von Hand bestickte Bluse, ein Original aus den 1970er Jahren oder ein künstlerisches Artefakt zum bestücken der Vitrine ausgewählt wird, oder gleich mehrere, obliegt den Besucher_innen. Ulrike Ettinger

Die Ausstellung disCONNECTED wurde kuratiert von Till Ansgar Baumhauer
in Kooperation mit Denise Ackermann Motorenhalle / riesa efau. Kultur Forum Dresden.
Künstler*innen Farrukh Adnan, PAK, Malala Andrialavidraza, FR, Lisa Maria Baier, Dresden, Till Ansgar Baumhauer, Dresden, Thomas Baumhekel, Dresden, Jan Brokof, Berlin, Nayari Castillo, VEN / AUT, Ricardo Coello Gilbert, ECU, Ergül Cengiz, München, Juana Cordova, ECU, Walmor Corrêa, BRA, Ulrike Ettinger, Berlin, Ulrike Gärtner, Dresden, Davide Giovanzana, CH / FIN, Heike Lydia Grüß, Ludwigsburg, Eléonore Hellio COD / FR, Julian Klein/“!KF – Institut für Künstlerische Forschung“, Berlin, Aman Mojadidi, USA / AFG, Phi Phi Oanh, VNM / USA, Luong Tran, VNM