Langzeitprojekte / long-term projects

Mobiltelefonzeichnung 2022

Dinge sind Bedeutungszuweisungen, Interaktionen, kulturelle Ereignisse, sie repräsentieren. Dinge werden von uns ausgewählt, laufen uns machmal zu, sind in Folge treue oder untreue Begleiter. Sie gehen verloren. Nicht selten „migrieren“ sie mit ihren Besitzer*innen oder aber werden in Not zurückgelassen und leben in der Imagination weiter. Sie können einem das Gefühl von Zuhause, Kontinuität oder Nähe geben (das Besteck meiner Großeltern, die Baskenmütze meiner Mutter) oder aber wirken befremdlich (das Mobiliar in Pflegeheimen), gegebenenfalls auch beides (die Baskenmütze meiner Mutter, das Mobiliar in Pflegeheimen). Als Ausdruck globaler Moden und Life-Styles setzen sie sich über nationale Grenzen hinweg. Sie werden umbenannt, umgedeutet, einverleibt, in Vitrinen inszeniert, einer Gemeinschaft entzogen oder zugeführt, ihrer Funktion beraubt, gestohlen und manchmal, selten zurückgegeben. Sie werden mitunter unbrauchbar, gehen kaputt oder aber wir können sie nicht mehr lesen, ihre Bedeutung ist uns abhanden gekommen oder war uns nie zugänglich, weil wir nicht zuhören wollten. Sie verstopfen Flüsse und vergiften die Umwelt. Dinge unterliegen unterschiedlichen Disziplinen, sind das Ergebnis spezifischer Narrative, Ausdruck heterogener Anschauungen von Welt und mitunter auch von Propaganda.

Things are assignments of meaning, interactions, cultural events, they represent. Things are chosen by us, sometimes run to us, are subsequently faithful or unfaithful companions. They get lost. Not seldom they „migrate“ with their owners or are left behind in need and live on in the imagination. They can give us a feeling of home, continuity or closeness (my grandparents‘ cutlery, my mother’s beret) or they can seem alienating (the furniture in nursing homes), or both (my mother’s beret, the furniture in nursing homes). As an expression of global fashions and lifestyles, they transcend national borders. They are renamed, reinterpreted, incorporated, staged in showcases, withdrawn from or given to a community, robbed of their function, stolen and sometimes, rarely, returned. Sometimes they become unusable, broken or we can no longer read them, their meaning is lost to us or was never accessible to us because we didn’t want to listen. They pollute the environment and block rivers. Things are subject to different disciplines, are the result of specific narratives, the expression of heterogeneous views of the world and sometimes also of propaganda.

Zeichenkohle auf Papier, 35×25 cm, 2023

Ulrike Ettinger ist Künstlerin und Autorin. Ihre Arbeit umfasst künstlerische Praktiken, kulturwissenschaftliche Forschung und literarische Texte. Befragt werden vorzugsweise Dinge – des Alltags, der Mode oder als Ausdruck ideologischer Propaganda. Dingen haftet/n Geschichte/n an. Mitunter sind diese gebunden an die eigene Biographie. Ein weiteres Interessenfeld ist Handwerk/ gestalterische, handwerkliche Tätigkeiten, beispielsweise im Wechsel zwischen Life-Style und Mittel der Selbstermächtigung. Das Themenfeld überlagert sich mit Ettingers langjähriger Forschung zum staatlichen Gebrauch von ‚Volkstrachten‘ während des Sozialismus in Rumänien. Neu hinzugekommen ist Autofiktionales Erzählen, sowohl als eigenständige Textbeiträge als auch in Verbindung mit Zeichnungen und Grafiken.

Ulrike Ettinger works as an artist and author. Her work covers artistic practices, academic cultural research and literary texts. Questioned are preferably things – of everyday life, fashion or as an expression of ideological propaganda. Things have history(s) attached to them. Sometimes these are linked to one’s own biography. Another field of interest is handicrafts/ creative, craft activities, for example in the alternation between life style and means of self-empowerment. This thematic field overlaps with Ettinger’s long-standing research on the state use of ‚folk costumes‘ during socialism in Romania. A new addition is auto-fictional narration, both as independent text contributions and in connection with drawings and graphics.

Kohlezeichnung 2021
Kohlezeichnung 2021

research handmade erkundet unterschiedliche Aspekte von Handwerk, ein alleine in seinen Verflechtungen zu Kunst, Alltagskultur/ Habitus und Konsum oder auch therapeutischen Verfahren äußerst weitläufiges Feld, welches bereits in der Vergangenheit eingehend untersucht wurde (etwa durch den Soziologen Richard Sennett oder neueren Datums in Ausstellungsprojekten wie „handWERK. Tradiertes Können in der digitalen Welt“ am Museum für angewandte Kunst in Wien 2016). Ohne die Thematik in ihrer Gesamtheit erforschen zu wollen, richtet sich mein Interesse auf Tendenzen, welche Handwerk derzeit aufwerten, etwa im Bereich von Life-Styles und Konsumkultur. Dabei untersuche ich Bilder und Sprechakte, die Handwerk vermitteln, beziehe historische Vorläufer und Fremdforschung mit ein (u.a. Dagmar Ladj-Teichmanns „Erziehung zur Weiblichkeit durch Textilarbeiten. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Frauenbildung im 19. Jahrhundert“ von 1983). Nicht zuletzt blicke ich mittels Zeichnung, Grafik und Textiles sowohl auf Begegnungen mit Handwerker*innen im Zuge meiner Forschung zu Volkstrachten in Rumänien als auch auf eigene Handwerks-Erfahrungen.

research handmade explores different aspects of handicraft, an extremely broad field in its interconnections with art, everyday culture/habitus and consumption or even therapeutic procedures, which has already been examined in detail in the past (for example by the sociologist Richard Sennett or more recently in exhibition projects such as „handWERK. Tradiertes Können in der digitalen Welt“ at the Museum für angewandte Kunst in Vienna 2016).
Although I do not want to explore the topic in its totality, I am interested in tendencies that currently revalue craft, for example in the field of life-styles and consumer culture. In doing so, I examine images and speech acts that mediate craft, include historical precursors and foreign research (e.g. Dagmar Ladj-Teichmann’s „Erziehung zur Weiblichkeit durch Textilarbeiten. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Frauenbildung im 19. Jahrhundert“ from 1983). Last but not least, I use drawing, graphics and textiles to look at encounters with craftspeople in the course of my research on folk costumes in Romania as well as my own experiences with crafts.

Graphit und Buntstifte 2022

Forschung zu Volkstrachten in Rumänien. Untersuchungsgegenstand ist insbesondere die staatliche Verwertung von bäuerlicher Kleidung und Handwerk im Sozialismus, aber auch ihre Wiederbelebung durch unterschiedliche kulturelle Akteure nach der politischen Wende 1989. Neben explizit künstlerischen Vorgehensweisen – Kleidung/ Textiles, Zeichnungen, Fotografien, künstlerische Veröffentlichungen und Installationen im Ausstellungskontext –, haben auch Interviews und die Analyse von Zeitdokumenten wie Volkskunstmonografien und Modezeitschriften zur Forschung beigetragen.

the research collection, Stoffbahnen, Siebdruck auf Baumwolle, ab 2012
kleine Etymologie der rumänischen Volkstracht, 64-seitige Broschüre, A6, 2015
cultural displays, 16-seitige Broschüre, A4, 2015


EN
Works concerning folk costumes and folk art during Socialism in Romania. Until 2017 in the context of the Ph.D.-project FASHIONABLY NATIONAL! ,Folk Costume‘ as a resource in socialist Romania from the perspective of research and art at the Bauhaus-University Weimar.
Subject to investigation was the appropriation of traditional dress (as well of traditional handicrafts). To which contexts were they ascribed by the regime in the period 1948-1989? What perceptions of them were distributed? Through what means?
Part of the research were interviews (conducted in Romania between 2010-2011) and the examination of printed media (a.o. folk art monographs and fashion magazines from the socialist period). The analysis of this still scarcely investigated field aims to provide a set of instruments for a better understanding of recent phenomena (for example the more recent embedding of traditional dress and handicraft in national narratives, after 1989).
The project includes works with textiles, clothing, drawings, videos, photographs and printed matter.

Kohlezeichnungen, 2021


Die geplante Graphic-Novel die ‚rumänische‘ Bluse umfasst Begegnungen und Geschehnisse, die sich auf Reisen in Rumänien so auch während der Aufenthalte für meine Ph.D.-Arbeit zugetragen haben, jedoch weder Teil davon noch von weiteren künstlerischen Arbeiten geworden sind. Neben Fotografien, Tagebuch-Einträgen, Interviewsituationen, subjektive Wahrnehmungen und am Rande Notiertes, sind es auch Arbeitsprozesse und Ideenfindungen, die in die Graphic-Novel einfließen.